Diskriminierung

Inaktives Leben

Am Freitagabend feiert Esther Geburtstag, Samstag ist Brunch mit Stefanie, Mittags Shoppen mit Christoff und abends gehts mit dem Liebsten und Freunden auf ein Dorffest. Sonntag wird relaxt und dann gehts mit den Nachbarn auf Fahrradtour. Abends vielleicht nochmal in den Biergarten. So könnte das normale Leben aussehen. Mir wäre es so oder so wirklich zu viel. In letzter Zeit aber ist mir aufgefallen, dass meine Aktivität im Leben zugenommen hat, mit jedem Kilo, das ich verloren habe.

Je mehr ich wiege, desto mehr ziehe ich mich zürck. Das klingt für schlanke Menschen wahrscheinlich unvorstellbar. Aber jeder der mal mehr auf die Waage gebracht hat, kann die Gedankengänge nachvollziehen. Letzten Samstag ist mir das im Biergarten (bei ein, zwei, drei Gläschen Aperol 🙂 ) bewusst geworden. Als ich dick war, bin ich schon auch ausgegangen. Aber oft habe ich so rein gar nichts zum anziehen gefunden, mich unwohl gefühlt, mich tausendmal (!) umgezogen oder neu geschminkt oder nicht geschminkt oder oder. Nie hat was gepasst, nie fand ich mich selbst gut und sexy. Traurig aber wahr. Ich konnte mich selbst nicht leiden, war aber auch nie an dem Punkt, etwas ändern zu wollen. Auch traurig.

Es ist eigentlich paradox. Ich könnte jedem jetzt sagen „Geh raus, egal was du wiegst“. Aber ich kenne die Kehrseite. Es nützt nichts, wenn andere einem sagen, dass man rausgehen soll. Man schafft es nicht. Weil man sich selbst nicht mag,  nicht wohl fühlt. Manchmal ist man beruhigt, wenn noch eine dickere Person mitgeht und man nicht die Dickste ist. Ich kenne keinen Übergewichtigen, der nicht gelegentlich diese Gedanken hat. Und irgendwie finde ich es traurig. Ich weiß, es gibt bestimmt lebensfrohe Dicke (und das ist auch gut so). Aber ich denke manchmal darüber nach, was ich verpasst habe, weil ich mich selbst nicht wohl gefühlt hat. Von Diskriminierungen und Beschimpfungen will ich an dieser Stelle nicht anfangen. Das ist das Außen. Ich spreche von mir selbst, meinem früheren Ich. Ich, die sich nicht wohl gefühlt hat und manches Mal lieber zu Hause geblieben ist. Die Gründe sind vielfältig.

Ich wollte nicht die Dickste sein.

Ich fand mich zu fett.

Ich wollte nicht beschimpft werden.

Ich fand nichts zum anziehen.

Ich wollte in Ruhe (fr)essen.

Ich war zu kaputt.

Ich wollte unsichtbar sein.

 

 

Heute bin ich viel aktiver. Ich gehe raus, treffe Leute, mache auch mal alleine was und mir ist egal, was andere denken. Weil ich mich mag und meine jetzige Figur angenommen habe. Ja – ein paar Kilo weniger wären natürlich noch schöner :), aber wenn ich in den Spiegel gucke, denke ich „passt ja“ und ich falle nicht mehr auf. Ich gelte nicht als schlank und dürr, aber als „normal“, als „gut beieinander“ nicht als dick oder fett. Der Gedanke ist immer noch komisch.

 

Bewerbungen und Übergewicht

Ich habe ab und dann Personal einzustellen und Vorstellungsgespräche zu führen. Mir persönlich kommt es wirklich auf die Qualifikationen an und vor allem auf den persönlichen Eindruck. Gewicht stellt bei Einstellungen schon eine wichtige Rolle da. Das habe ich selbst schon erfahren, leider. Dicken traut man weniger zu. Man hält sie für faul, gemütlich und nicht leistungsfähig. Das glaubt ihr nicht? Ich habe einen Beitrag über eine Studie der Universität Tübingen gefunden:

Tatsächlich ist es für den Erfolg eines Bewerbungsgesprächs vorteilhaft, Fettpolster so gut es geht zu kaschieren. Denn Übergewichtige werden aufgrund ihres Gewichts benachteiligt – und zwar nicht nur von bestimmten Personalentscheidern, sondern von den meisten. Das fand erst im vergangenen Jahr ein Forschungsteam an der Universität Tübingen heraus. Hierzu legten die Wissenschaftler 127 Personalentscheidern Bilder von angeblichen Bewerbern vor und ließen die Personaler zu den Bewerbern unterschiedliche Fragen beantworten. Unter anderem mussten die Versuchspersonen sich für drei Kandidaten entscheiden, die sie anhand von Fotos in die engere Wahl für eine Abteilungsleiterposition ziehen würden. Die Fotos, die vorgelegt wurden, zeigten den Oberkörper von sechs Männern und sechs Frauen im Alter zwischen 40 und 50 Jahren, die alle einheitlich mit einem weißen T-Shirt bekleidet waren. Jeweils vier der zwölf Abbildungen zeigten Menschen mit Übergewicht. Unter den Normalgewichtigen waren außerdem vier Personen mit Migrationshintergrund zu sehen. Obwohl alle Personalentscheider umfangreiche Erfahrungen im Auswahlverfahren von neuen Mitarbeitern aufwiesen und aufgrund ihrer Ausbildung vorurteilsfrei eine Auswahl treffen können sollten, fiel die Auswertung der Studie eindeutig aus: Die Wissenschaftler ermittelten deutliche Vorbehalte gegenüber potentiellen Bewerbern mit Übergewicht. Besonders korpulenten Frauen trauten die Personalentscheider nicht die Funktion einer Abteilungsleiterin zu. Quelle

 

Ich bin zum Glück keine Personalerin. Es geht bei uns vor allem um Hilfsarbeiten, Studentenjobs. Die großen Entscheidungen trifft der Big Boss.  Mein Chef hat mich mit etwa 107 Kilo eingestellt, Gott sei Dank. Aber ich bin überzeugt, dass ich deswegen auch schon nicht eingeladen wurde oder beim Vorstellungsgespräch rausgeflogen bin. Als ich in der Wirtschaftskrise arbeitslos wurde, sagte ein Vermittler im Arbeitsamt (damals hatte ich 86 Kilo) mal zu mir: „Wissen Sie, ihre Qualifikationen nützen ihnen ja nichts. Die meisten Männer wollen eine 56 Kilo-Frau im Job“. Erbärmlich und grausam und ich habe mich danach minderwertig gefühlt und diskriminiert. Ich finde es ganz schlimm, denn es gibt fleißige Menschen und faule Menschen. Es gibt Menschen, die kein Bock zu arbeiten haben und Arbeitstiere. Und irgendwas dazwischen. Es gibt dicke, sehr dicke, dünne und magere Menschen – und was dazwischen. Das Gewicht hat doch gar nichts damit zu tun. Dieses Vorurteil haftet an übergewichtigen Menschen und es ist leider harte Realität. Bewerbungen für Leute mit Übergewicht sind schwieriger, als für Menschen mit Normalgewicht. Das ist traurig und Realität.